Hast du das Gefühl, dass du von einem anderen Planeten kommst und alles um dich herum ganz anders als die meisten Menschen wahrnimmst? Dann kann es sein, dass du nicht nur ein introvertierter, sondern auch ein intuitiver Mensch bist. Carl Gustav Jung hat die Psychoanalyse revolutioniert, in dem er die Funktionen introvertiert und extrovertiert, sowie intuitiv und "sensing", das heißt mit seinen fünf Sinnen wahrnehmend, beschrieben und definiert hat. Die Mehrheit in unserer Gesellschaft (ungefähr 80 Prozent laut Lauren Sapala) sind "senser", Menschen, die die Welt mit ihren fünf Sinnen wahrnehmen und dementsprechend schnell und leicht nachvollziehbar auf ihre Umwelt reagieren. Introvertierte Intuitive haben es im Gegensatz dazu eher schwer und brauchen mehr Zeit für Reaktionen, da ihre Erlebniswelt tiefer und komplexer ist.
"Manche haben das Gespräch mit mir deshalb auch gemieden."
Dafür sind es jedoch die introvertiert intuitiven Menschen, die Dank ihrer Selbstanalyse (eingebettet in menschliche Interaktionen und Erfahrungen) innovative Verknüpfungen bewerkstelligen können, die eventuell noch nie dagewesenen Einsichten und Richtungen den Weg frei machen können. Da es sich hierbei nur um circa 20 Prozent der Weltbevölkerung handelt, findet Lauren Sapala, die viel über introvertierte Intuitive schreibt und mit ihnen arbeitet, dass es gar nichts bringen würde, darauf zu warten, dass die Gesellschaft introvertierte Intuitive verstehe, ihnen zuhöre oder sie gar ermutige: Man müsse ohne Zuspruch von anderen in die Welt hinausgehen, denn es gäbe nun mal nicht viele, die uns wirklich verstehen würden.
Für mich war mein introvertiertes und intuitives Dasein immer der Anlass für ein Gefühl von Fremdheit. Es gibt viele Beispiele in meinem Leben, in denen ich Menschen durch eine klare Einsicht in Verlegenheit gebracht habe und manche haben das Gespräch mit mir deshalb auch gemieden. Irgendwann habe ich dann aufgehört mich mitzuteilen und lieber angepasst. Das war einfacher und ersparte mir Reibereien, denn meine Sensibilität erschien mir sowohl im eigenen Erleben, als auch im Umgang mit anderen als Last beim Miteinander. Jedoch hat übermäßiges Anpassen seinen Preis: Selbstaufgabe, Gefallen-wollen und als Folge dessen das Ausnutzen-lassen von anderen Leuten. Außerdem hat man es mit den Jahren immer schwerer sich mit anderen Menschen aufrichtig zu verbinden, was zu extrem emotionaler Einsamkeit führen kann.
"Soll das alles gewesen sein ?"
In den ersten Jahren meines Studiums, das ich weit weg von meiner Heimatstadt absolviert habe, habe ich Menschen getroffen, mit denen ich mich auf Grundlage meiner Interessen (fremdsprachige Literatur, Philosophie und Politik) verbunden habe. Das hat etwas in mir bewirkt: Das Eis meiner Erlebniswelt ist aufgebrochen und es kamen Wörter herausgeflossen, viel Heiterkeit über die eben sehnsüchtig erwartete, neue menschliche Wärme, aber auch Tränen, Schwermut und stumme Verzweiflung über das, was uns widerfahren ist (das Abstumpfen). Die Welt erschien manchmal sonderbar und schwer zu entschlüsseln, da das, was wir sahen, von anderen nicht gesehen werden wollte und das, was andere sahen, bei uns die Frage aufkommen ließ: Soll das alles gewesen sein ? Wir hielten sie als Studentinnen Seite an Seite aus. Es ist eine Frage, die wir uns später als Mütter auch wieder stellen würden und auch diesmal halten wir sie Seite an Seite aus. (Unsere Antwort ist seit jeher: Nein, es kommt immer etwas danach, wenn du nicht aufhörst, du selbst zu sein !)
"Wir leben mit einem anderen Rhythmus, haben ein anderes Zeitgefühl, können fast nie erklären, warum wir etwas tun..."
In meinem Gedichtband Goldklingeln. Gedichte & Texte beschreibe ich dieses Aufbrechen des Eises: Die Insel, auf die ich mich selbst manövriert habe, liest sich in „Das Sommerhaus“. Es kommt dann der Augenblick, in dem ich allen vorgefertigten Schablonen von mir den Rücken kehre, was mein Gedicht „Vergesst mich“ lyrisch ausdrücken will. Wie in dem Leben jeder Frau gibt es auch bei mir das überall anzutreffende und übermächtige Wort der Vereinbarkeit. Wir Frauen müssen immer alles vereinbaren: die Leidenschaft mit dem Nützlichen, der Gesellschaft geben ohne Dienerin zu sein, Mutter/ledig und Karriere (ja/nein/wieso ?). Diese ganzen kategorisierten Erwartungen, die Diskussionen darüber in den Medien und das allgemeine Hamsterrad der kapitalistischen Welt sind sehr befremdlich für eine introvertiert intuitive Person: Wir leben mit einem anderen Rhythmus, haben ein anderes Zeitgefühl, können fast nie erklären, warum wir etwas tun und jenen ganz besonderen Einblick in die Geschehnisse um uns herum haben.
Unseren Erfolg können wir noch weniger erklären und er wird oft auch nicht ernst genommen oder geneidet, da man ihn nicht wie die anderen verdient hätte, die laut sprechen, sichtbar unermüdlich schuften und "logische" Leben führen. Das Wort „logisch“ habe ich deshalb ziemlich selten gebraucht, weil es für mich immer etwas befremdlich klang: Was andere als logisch bezeichneten, war es für mich oft nicht. Ja, manchmal scheint der Planet Erde, vor allem das, was wir aus ihm gemacht haben, für introvertierte Intuitive ziemlich unwirtlich. Wir denken, wir seien von woanders, aber ich muss leider enttäuschen: Das sind wir nicht.
"Es sind vielmehr solche kleinen Gesten für uns selbst, die uns große Sicherheit bieten können und Heimat geben."
Intuitiv introvertierte Schreibende leben natürlicherweise im Innen und notwendigerweise im Außen. Dieses "Doppelleben" ist für die stark mit den fünf Sinnen wahrnehmenden Menschen fast unverständlich und wir beneiden sie um ihre Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit an einen felsenfesten, kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu glauben. Um die Welt ein Stück weit für unsere Wahrnehmung zu sensibilisieren, müssen wir lernen zu widerstehen und auszuhalten.
In einem ihrer Workshops sagt Lauren Sapala: "Bewahre dir deine Macht. Tue nichts, um sie zu verteidigen, da dies ziemlich viel Kraft kostet, sondern lasse sie einfach nicht los, halte sie fest." So möchte ich in Goldklingeln. Gedichte & Texte auch unbedingt darauf hinweisen, dass besonders junge Mädchen und Frauen ihre Macht nicht gedankenlos abgeben: Eine Aufmerksamkeit für andere, die es doch auch eigentlich gar nicht brauchen, weniger und etwas mehr Zeit für die eigene Sache/ die eigene Ruhe/ die körperliche Betätigung, die es alle ganz dringend nötig haben, weil wir an ihnen wachsen. Sich der eigenen (Seelen)Arbeit zu widmen, macht nicht gleich einen Sozialfall aus uns, der es schwer hat in der Gemeinschaft/ Freundschaft/ Ehe zu funktionieren. Es sind vielmehr solche kleinen Gesten für uns selbst, die uns große Sicherheit bieten können und Heimat geben.
"Die lyrische Person ist durch und durch poetisch und wird diese Lebenshaltung nicht ablegen können..."
In Goldklingeln. Gedichte & Texte beschreibe ich den Weg von der Einsamkeit zur Zweisamkeit zur Gemeinschaft. Es ist ein poetisches Zeugnis: Wörter, die damals zu mir kamen und sich in Verse reihten und Themen, die von einem anderen Stern zu sein schienen und sich mir keck anboten. Der Gedichtband ist somit ein kleiner Einblick in meine Seele, die gleichzeitig ein Teil der großen Weltseele ist. Für mich als Schriftstellerin ist es wichtig zu wissen, dass es andere Frauen vor mir gab, die aus einer mir sehr ähnlichen, intuitiven Perspektive geschrieben haben.
Es ist genauso wichtig, dass neben diesen meinen literarischen Müttern auch gegenwärtige Dichtkunst aus intuitiver Feder entspringt, die oft zaghaft, wenig aufmerksamkeits-erheischend, im klassischen Sinne selten erfolgreich und meist auch schambesetzt ist. Diese Frauen habe ich getroffen und möchte noch viele weitere treffen, damit wir uns gegenseitig bestärken, denn die lyrische Person ist durch und durch poetisch und wird diese Lebenshaltung nicht ablegen können, auch wenn die Beweggründe oft im Dunkeln liegen und die Ausdrucksform nicht immer gleich verstanden wird. Somit bedeutet es mir sehr viel, dass es sie gibt: die lyrische Gemeinschaft, in der ich mich wohl fühle und ihre Künstlerinnen mit ihrem einzigartigen Produkt. Eines davon ist Goldklingeln. Gedichte & Texte.
© Manou Fines
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